Gendern - aber wie?
Gendern? Ungeordnete Gedanken eines Pastors
Immer mal wieder wurden wir in den letzten Jahren gefragt, warum wir im Gemeindebrief gendern. Dabei machen wir das gar nicht durchgehend. Wir lassen allen, die für uns schreiben, in dieser Frage freie Hand. Das Ergebnis ist eine bunte Mischung.
Trotzdem ließ uns das Thema nicht los und so wagen wir es, das Gendern zum Hauptthema eines Gemeindebriefs zu machen. Gleichzeitig werden wir es auch weiterhin so handhaben wie bisher: Alle, die im Gemeindebrief schreiben, können gendern, wie sie wollen, oder es auch sein lassen.

Herausgekommen sind drei ganz unterschiedliche Artikel, die hoffentlich Anregungen geben zum Umgang mit diesem manchmal aufgeladenen Thema.
Das Thema „geschlechtergerechte Sprache“ begleitet mich seit meinem Studium. Da begegneten mir plötzlich der Schrägstrich (Pastor/innen) und das Binnen-I (PastorInnen). Ich fand das ungewohnt und umständlich – aber auch irgendwie folgerichtig. Das dahinterstehende Thema, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, war nämlich in meinem Elternhaus ein wichtiges Thema gewesen.

Heute benutze ich meistens den Doppelpunkt und muss zugeben: Wirklich schön sieht das nicht aus. Aber vielleicht wäre ich ganz anderer Meinung, wenn ich mit dem Doppelpunkt großgeworden wäre. Und gibt es nicht auch wichtigere Kriterien als die Schönheit? Was bleibt von der Schönheit übrig, wenn sich Menschen von ihr verletzt fühlen?
Andere Menschen fühlen sich durch das Gendern verunsichert: „Wie soll ich mich denn ausdrücken?“ „Warum ist das Binnen-I plötzlich nicht mehr korrekt?“ „Warum gibt es mehrere Möglichkeiten gleichzeitig und sind sie alle gleich richtig?“ Britta Füllgrabe zeigt im nächsten Artikel auf, wie unglaublich viele Möglichkeiten es gibt – nicht um zu verwirren, sondern um Orientierungshilfe zu geben.
Mir würde es auf jeden Fall helfen, wenn aus der ganzen Diskussion ein wenig Druck und religiöser Eifer herausgenommen würde. Gerade wir in der Kirche wissen doch, worin fundamentalistische Auseinandersetzungen führen.

Menschen, die gendern, wollen nicht einfach ihren Mitmenschen das Leben schwer machen. Und Menschen, die nicht gendern wollen, sind nicht automatisch queerfeindliche Patriarch:innen.
Jemand, der (oder die) unter der sprachlichen Sperrigkeit des Genderns leidet, hat mein volles Verständnis. Denn Sprache ist auch Heimat. Wir sind in ihr groß geworden, haben uns an ihr abgearbeitet. Deshalb die wütenden Proteste gegen die Rechtschreibreform und die kategorische Ablehnung des Genderns. Menschen fühlen das bedroht, was Halt gibt, weil es ihnen vertraut ist.

Sie merken zu Recht an, dass das generische Maskulinum nicht aus der Ursuppe gekrochen kam, sondern eine menschliche Erfindung ist. Und als solche spiegelt sie natürlich ein bestimmtes Men schenbild wider. Sie sehnen sich nach einer Sprache, die auch ihnen Heimat sein kann. Und sie können ja nichts dafür, dass diese Sprache umständlicher und ungewohnter ist als das, was vorher war.
Sprache verändert sich ständig. Das kann nerven, weil es von mir verlangt, dazuzulernen. Allerdings bemühen wir uns doch alle, nicht einfach rauszuhauen, was uns gerade einfällt. In allen Generationen gibt es den Anspruch, sich behutsam auszudrücken, um das Gegenüber nicht zu verletzen.
Das ist eine Frage des gegenseitigen Respekts, selbst wenn ich nicht ganz verstehe, warum die andere sich verletzt fühlt. Ein „Die sollen sich nicht so anstellen!“ hilft nicht wirklich weiter.

Wer bekommt diesen Satz schon gerne gesagt? Er ist übrigens auch nicht hilfreich, wenn er Gegnern des Genderns entgegengeschleudert wird.
Vielleicht wäre es gut, mehr miteinander zu reden (wie in jeder Lebensfrage). So könnten Menschen verstehen, warum die hergebrachte Sprache andere verletzt. Anderen würde klarer, warum die eigene Sprache nicht auf Knopfdruck verändert werden kann, vor allem nicht, wenn wir Jahrzehnte darin gewohnt haben. Und warum es verunsichert bis wütend macht, wenn die Gendermöglichkeiten fast so schnell wechseln wie Smartphone-Modelle.
In der Bibel steht natürlich nichts über das Gendern – und sie steckt in den klassischen Übersetzungen voller generischer Maskulina. Sie thematisiert auch nicht die Anzahl der Geschlechter – aber sie taugt ebenso wenig dazu, die ausschließliche Zweigeschlechtlichkeit festzuschreiben.
Mit der Aussage, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat, sollte wohl kaum ein drittes Geschlecht abgewehrt werden.
Die Aussage stand vielmehr quer zur zeitgenössischen Abwertung von Frauen als unvollkommene Menschen. Sie war insofern geradezu ein Bekenntnis zur gleichberechtigten geschlechtlichen Vielfalt.

Es kann nicht darum gehen, dass Sprache alle Eventualitäten abdeckt. Das wäre auch zum Scheitern verurteilt. Denn Sprache vereinfacht die Wirklichkeit. Sonst wären wir verloren, weil wir schon mit der Beschreibung eines Baumes ein Leben verbringen könnten.
Sprache muss das, was uns wichtig ist, so ausdrücken, dass es passt. Wenn es uns egal ist, ob die Vielfalt der Geschlechter gleichberechtigt zusammenleben kann, dann ist es auch egal, wie wir darüber reden und schreiben. Wenn es uns aber wichtig ist, ist die Diskussion eröffnet: Was muss durch Sprache ausgedrückt werden – und was kann unscharf bleiben? Worauf können wir auf keinen Fall verzichten?
Wie können wir uns so vertrauen, dass versehentlich „falsche“ Sprache kein Problem ist, weil hinterher einfach darüber gesprochen wird?

Vielleicht ist es gut, keine Sprachform vorzuschreiben – aber einander zurückzumelden, wie die jeweilige Sprachform ankommt. Und was sie vielleicht auch an Nebenwirkungen hat. Elektronische Sprachsysteme können zum Beispiel das
Gendersternchen oder den Doppelpunkt nicht „verstehen“, was fürblinde Menschen zu Problemen führt. Bei all dem kann uns dann doch die Bibel weiterhelfen. So gibt der Apostel Paulus der Gemeinde in Korinth folgenden Rat: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf“ (1. Korinther 10,23). Heißt: Wir können uns nicht ausruhen auf gottgegebenen Regeln für die Ewigkeit, sondern wir müssen aushandeln, was uns als Gemeinschaft gut tut.
In diesem Sinn sind wir gespannt auf viele konstruktive Reaktionen auf diesen Gemeindebrief!
Manuel Kronast
Gendern (und Co.): Sprache schafft Wirklichkeit
Übers Gendern lässt sich streiten. Da gibt es die einen, die die „political correctness“ hochhalten, bis das Sprechen eine ziemlich verkrampfte Angelegenheit wird, da man immer auf der Hut ist, niemanden auszuschließen. Da gibt es die anderen, die schimpfen, die Sprache werde so völlig verhunzt.
Viele finden, es sei doch klar, dass alle gemeint seien mit dem generischen Maskulinum, also der männlichen Form, z.B. „Arzt“, die in Gedanken auch „Ärztin“ mit einschließt. Wieder andere argumentieren, dann könne man ja zur Abwechslung ein generisches Femininum einführen, also die weibliche Form als Standard.
Und dann sind da noch die, die darauf hinweisen, dass die Sache mit dem Geschlecht gar nicht so binär ist, wie viele denken, denn es gibt neben „männlich“ und „weiblich“ auch noch viele andere Ausprägungen von Geschlecht, die sich heutzutage behelfsmäßig unter dem Begriff „divers“ zusammenfassen lassen.
Diese Diversitätist heute sichtbarer denn je. Es gibt Prominente, die sich als „Nichtbinäre“ identifizieren und dies offen zeigen, man braucht nur einmal eine Internetsuchmaschine zu befragen.
Die Realität ist heute eine andere, als noch vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten. Diversität wird großgeschrieben, nicht nur in Sachen Geschlecht – das merkt jede Person, die mit offenen Augen Stellenausschreibungen, Werbeplakate oder die Glitzerwelt der Stars betrachtet. Langsamer geht es etwa in Politik und Wirtschaft voran, aber auch Konzepte wie „Frauenquote“, „Integration“ oder „Inklusion“ zeigen, dass der Standard, der lange herrschte, nämlich männlich, weiß, und vielleicht noch christlich, zumindest in der Diskussion steht.

Doch nur, weil heute Diversitätein gesellschaftliches Thema ist, bedeutet das keineswegs, dass es diese Diversitätfrüher nicht gab. Schon in der griechischen Mythologie gab es allerlei Zwitterwesen, die sowohl die Grenzen zwischen Mann und Frau, als auch die zwischen Mensch und Tier überschritten.
Und selbst die unter uns, die das alles als reine Fiktion abtun, werden nicht leugnen können, dass es zumindest ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ seit Urzeiten gibt – und trotzdem ist die Gleichberechtigung beider erst im Laufe des letzten Jahrhunderts groß rausgekommen (wenn auch noch nicht erreicht). Die Wirklichkeit war also schon die ganze Zeit da, wir müssen nur noch mit unserer Wahrnehmung hinterher kommen.
Eines der wichtigsten Werkzeuge unserer Wahrnehmung ist die Sprache. Genau genommen können wir nur durch sie ausdrücken, wie wir die Welt sehen, denn Sprache beinhaltet nicht nur das gesprochene oder geschriebene Wort, sondern auch nonverbale Kommunikation oder auch Kunst in jeglicher Form. Wenn wir uns mitteilen, sprechen wir, und wenn wir sprechen, schaffen wir die Welt, in der wir leben.
Ein gutes Beispiel dafür, dass Sprache Realitätschafft, ist eine der häufigsten Fragen, wenn ein Kind geboren wird: „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ Damit wird eine dritte Antwort als Option ausgeklammert und somit unsichtbar gemacht. Ganz zu schweigen von operativen Eingriffen, die eventuelle Uneindeutigkeiten kurz nach der Geburt aus dem Weg räumen sollen (was Betroffene nicht davon abhält, sich später als einem anderen Geschlecht zugehörig zu identifizieren).
Ein anderes Beispiel: Spreche ich davon, dass „Grundschullehrer mehr verdienen sollten“, dann spreche ich genau genommen nur den männlichen Angehörigen dieses Berufs eine Gehaltserhöhung zu, und das, obwohl der Großteil dieser Berufsgruppe aus Frauen besteht. Sollte man hier also nicht lieber von Grundschullehrerinnen sprechen – und damit auch die männlichen und diversen gedanklich mit einbeziehen?

Doch an der Umsetzung hapert es noch. Denn verständlich sollte Sprache schon bleiben, sonst werden wieder andere abgehängt. Wie macht man es beispielsweise, wenn Artikel „in einfacher Sprache“ angeboten werden oder Computerprogramme Texte für visuell Beeinträchtigte vorlesen? Da kann es zu Problemen kommen mit Gendersternchen oder Doppelpunkten, einer Schreibweise, die auch diverse Menschen mit einbeziehen soll (z.B. „Lehrer*innen“ oder „Lehrer:innen“).
Doch hier ist nicht das generische Maskulinum die einzige Lösung.
Die Leibniz-Universität Hannover beispielsweise hat eine Handreichung an ihre Beschäftigten herausgegeben, die dabei helfen soll, geschlechtergerecht zu kommunizieren (https://www.chancenvielfalt.uni-hannover.de).
Dort vorgeschlagene neutrale Formulierungen wie „Lehrende“ sind jedoch manchen ein Dorn im Auge, weil sie grammatisch nicht ganz korrekt sind – denn genau genommen sind Lehrende nur in dem Moment, in dem sie die Tätigkeit des Lehrens ausüben, Lehrende, sonst nicht. Eine Alternative wäre hier der Ausdruck „Lehrkräfte“.
Weitere Beispiele für eine Sprache, die mehr Menschen einschließt als ausschließt, sind die Nutzung unpersönlicher Pronomen (z.B. „Diejenigen, die teilnehmen möchten“), die direkte Anrede (z.B. „Sie können sich anmelden“ statt „Studierende können sich anmelden“), Nutzung von Verben (z.B. „Teilgenommen haben 20 Personen“ statt „Es gab 20 Teilnehmer“) oder die Verwendung von Kollektivbezeichnungen (z.B. „Jugendliche“, „das Team“).
Geschlechtergerechte Sprache muss also nicht immer umständlicher sein, sie erfordert nur ein wenig mehr Sensibilität für die Thematik. Wenn sich dadurch mehr Menschen in unserer Gesellschaft wahrgenommen fühlen, dann ist es aus meiner Sicht die Sache wert.
Britta Füllgrabe
Bilder: Pixabay
Gendern Gedanken einer »Betroffenen«
Auch in unserem Familienkreis wird das „Gendern“, also die geschlechtergerechte Sprache, generationenübergreifend oft kontrovers diskutiert. Die einen sehen Gendern als Ausdruck der sprachlichen Entwicklung mit dem Ziel der Gleichstellung, andere empfinden es als Verwirrung und Bevormundung.
Ältere verstehen neue Wortkonstruktionen wie „Teamende“, eine Mischung aus Anglizismus und Gendern einfach nicht. Auch weil es von Beidnennung bis Gendersternchen so viele Varianten gibt. Für Menschen, die nicht gut Deutsch können, eine Leseschwäche oder Hörbe hinderung haben, ist letztere Variante eine große Herausforderung. Daher rät etwa der Blinden- und Sehbehindertenverband von Sonderzeichen beim Gendern ab. Insofern sind wir alle, die unsere Sprache nutzen und miteinander kommunizieren „Betroffene“.
Es geht auch nicht mehr nur um männlich und weiblich. 2018 wurde die dritte Geschlechtsoption „divers“ durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofs eingeführt. Die bisherige Pflicht, einen Menschen dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuzuordnen, wurde darin als Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot gewertet.
Seitdem wird zudem über eine mehrgeschlechtliche Schreibweise diskutiert, die nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht einschließt, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten in unser Blickfeld und Bewusstsein rückt.
Unser Denken, die Bilder und Schablonen, die wir im Kopf haben, werden von der Sprache geprägt. Der aktuelle Rechtschreib-Duden vom August 2020 umfasst erstmals das Kapitel „Geschlechtergerechter Sprachgebrauch“, das unterschiedliche Möglichkeiten geschlechtergerechter Formulierungen erläutert und erklärt „Das Deutsche bietet eine Fülle an Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren. Es gibt dafür allerdings keine Norm.“
Sprache passt sich der Welt, präziser unserer aktuellen Gesellschaft, an und ist deshalb immer im Wandel. Der Austausch und der Dialog darüber sind einfach wichtig,
um Verständnis für andere Sichtweisen zu bekommen, denn Sprache betrifft uns alle und wie wir miteinander reden wollen, ist ein wichtiges Merkmal unserer demokratischen Gesellschaftsordnung.
So verschwand das Wort „Fräulein“, vor 40 Jahren noch die übliche Anrede für eine unverheiratete Frau, fast völlig aus dem Sprachgebrauch und andere Worte wie „Darterin“ oder „Bruchmeisterin“ kommen hinzu.
Ich denke, diese Sprachdebatte ist noch lange nicht vorbei, denn am Ende prägen die Menschen die Sprache und die Zeit wird zeigen, wie sie sich entwickelt und welche Varianten sich beim Gendern durchsetzen.
Christine Wismer